Re: Klischee - denken über Indianer
von Elk Woman » Di 2. Jun 2009, 22:34
Tagung erörtert Indianer-Mythos
Wunschbild vom edleren Menschen
" Es gibt ihn auf Briefmarken, im Duden und als Kaugummi. Seine schwarze, von einem Stirnband zurückgehaltene Mähne umrahmt das braungebrannte Gesicht, sein Wildlederkostüm und seine Mokassins sind mit Wüstenstaub bedeckt. Gemeint ist Karl Mays wohl bekanntester Held: Winnetou.
Noch immer begeistert der Mythos um die Romangestalt Leser wie Fernsehzuschauer. Auch die Studenten der Leuphana Universität haben Winnetou für die Wissenschaft aufleben lassen. Im Rahmen der Tagung "White-Indian-Relations" organisierten sie jetzt einen Vortrag im Heinrich-Heine-Haus mit dem Titel: "Edle Wilde - Rote Brüder: Indianerfilm und -buch in der DDR und BRD". Dr. Thomas Kramer von der Humboldt-Universität zu Berlin erklärte Indianermythen zwischen Wildwestromantik und Amerikakritik.
"Nirgends ist die Begeisterung für Indianer größer als in Deutschland", sagt Dr. Maria Moss vom Fremdsprachenzentrum der Leuphana, eine der Organisatorinnen. Die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg, die noch immer im Fernsehen laufenden Winnetou-Filme und Bully Herbigs Parodie "Der Schuh des Manitu" sind Beweis für das ungebrochene Interesse am Mythos. Momentan gebe es allein in Norddeutschland vier Ausstellungen zum Thema "Indianer", sagt Dozentin Dr. Sabrina Völz.
Woher rührt diese Begeisterung für die Ureinwohner Nordamerikas? Kramer versucht zu erklären: "Winnetou ist ein schöner, starker und gottgleicher Held. Indianer erfüllen unsere Wunschbilder von einem edleren Menschen, der nicht mit unseren Fehlern behaftet ist." Natürlich handele es sich um ein romantisiertes Bild: "Aber gerade dieses literarische Wunschbild führte nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in West- als auch in Ostdeutschland zu einem Boom an Indianerbüchern und Filmen."
Im geteilten Deutschland war Winnetou nicht gleich Winnetou. In der DDR sträubte man sich gegen den Kommerz des Karl-May-Kinos und verfilmte Wildwestromane eigener Autoren, einer der bekanntesten Filme: "Die Söhne der großen Bärin". Der Grund für die Ablehnung Mays: Man nahm an, dass er der Lieblingsschriftsteller Adolf Hitlers gewesen sei. Statt Pierre Brice alias Winnetou zog also der ehemalige Sportstudent und Serbe Gojko Mitic die Mokassins an. Blutsbrüderschaft haben Brice und Mitic übrigens schon lange geschlossen - allerdings nur auf der Bühne bei den Karl-May-Spielen. Dort verkörperte zuerst Brice, später Mitic den Apachenhäuptling Winnetou. Und als dieser werden sie auch in Erinnerung bleiben: einmal Winnetou, immer Winnetou.
Seven Deers erklärt Kunst und Geschichte der Halkomelen:
"Indianer? "Es gibt doch keine Indianer mehr! Auf jeden Fall nicht so, wie es in Büchern steht." So reagieren Studenten bei einer kleinen Umfrage auf dem Campus. Dabei sind sie sogar regelmäßig zu Gast - fallen aber kaum auf.
Denn Indianer präsentieren sich im Umfeld westlicher Zuhörer nicht unbedingt auffällig mit Kopfschmuck. In einer Runde von mehr als 20 gespannt lauschenden Teilnehmern erzählte der kanadisch-indianische Bildhauer David Seven Deers jetzt immer neue Geschichten über sein Leben und seine Skulpturen und scheint sie in jedem Moment selbst erst zu erleben.
Es wird dunkler im Raum, die in der Mitte leuchtende Kerze erinnert an ein Lagerfeuer. Dr. Maria Moss, Dozentin im Fach Englisch des Fremdsprachenzentrums, sowie ihre Kolleginnen Dr. Sabrina Völz und Maryann Henck haben Seven Deers zum Auftakt der Konferenz "Native North Americans" eingeladen. Die Konferenz hat indianische und nicht-indianische Künstler und Wissenschaftler aus Kanada, den USA und Deutschland an die Leuphana gebracht.
Auf die Frage, was ihn in die Welt hinausgetrieben hat, antwortet Seven Deers: "Ich treffe keine Entscheidungen, ich höre auf meinen Weg." Um dann doch zu erklären: "Es ist viel leichter, das grüne Gras woanders anzuschauen als bei sich zuhause im eigenen Garten."
Sein Weg hat ihn bereits 1995 nach Deutschland geführt. Damals bekam er den Auftrag, den Totempfahl für das Völkerkundemuseum in Hamburg zu schnitzen und ist seitdem bekannt in der Bildhauerszene. Seine Geschichte und die seines Stammes, der Skwah Sto-lo Halkomelen von British Columbia, stecken in jedem Werk. Normalerweise lehne er es ab, Kunst zu erläutern. Trotzdem erzählt er dann die Geschichte einer Bärenskulptur, die auf ein Zusammentreffen mit einer Runde singender Bären vor seinem Haus zurückzuführen ist.
Sein Zuhause, eine kleine Hütte auf dem Berg Singing Bears, wird von vielen Ausländern, aufgrund seiner Deutschkenntnisse besonders von Deutschen, aufgesucht. Aber das Wort "Danke" kennen die wenigsten: "Haitschicka". Er beendet die Sitzung mit dem Verteilen von kleinen Mengen Asche, welche die Teilnehmer in ihren Händen zerreiben. Die abenteuerliche Atmosphäre wird jäh durch das Neonlicht zerbrochen. Der Westen hält Einzug.
Am 21. Dezember eröffnet Seven Deers' neue Ausstellung im Hamburger Völkerkundemuseum, für die er einen 1400 Kilogramm schweren Basalt-Raben angefertigt hat, der in Zukunft das Foyer des Völkerkundemuseums zieren wird. "
fpo
Quelle: Lüneburger Landeszeitung
19.05.2009
"No man is an Iland, intire of itselfe
(John Donne)